2011/03/12

Ein Entwurf für eine neue Deutsche Sicherheitspolitik (Deutsche Fassung)

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Gliederung

(01) Die Grundannahme

(02) Zur Gewichtung von Gefahren

(03) Die Zuweisung von Verantwortlichkeiten

(04) Die Aufgabe der Regierung

(05) Konsequente Sicherheitspolitik braucht einen nationalen Konsens

(06) Die Rolle des Völkerrechts

(07) Eigene Verantwortung

(08) Verhalten gegenüber Aggressoren

(09) Multilaterale Rüstungsbeschränkungsabkommen

(10) Die Bedeutung von UNO, OSZE und EU

(11) Externe Einflußnahme auf die EU

(12) Ausländisches Militär in Deutschland

(13) Intervention ohne Bündnispflicht

(14) Geographische Blickrichtung der Bundeswehr

(15) Fokus auf Aufwuchsfähigkeit

(16) Schutz des Seehandels


01: Die Grundannahme

Die zugrunde liegende Annahme dieses Entwurfes ist:

Nationale Sicherheitspolitik soll Politik für den nationalen Selbstschutz sein, keine Interessenpolitik.

Der Entwurf ist eine Meinungsäußerung und es ist unmöglich, seine Überlegenheit über Alternativen im Rahmen eines Blogs zu beweisen. Dementsprechend werde ich die meisten Argumente und Abwägungen die zu diesen Ansichten geführt haben, außen vor lassen.

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Zwei wichtige Grundlagen für die Entwicklung einer in sich stimmigen und zweckgerichteten Sicherheitspolitik sind die Gewichtung der Gefahren und die Zuweisung von Verantwortlichkeiten.


02: Zur Gewichtung von Gefahren

Die Gewichtung von Gefahren muß auf Basis der vermuteten Wahrscheinlichkeit und dem vermuteten Nettoschaden im Fall des Falles geschehen. Ein bloßer Blick auf die spektakulärsten Horrorfantasien taugt für Unterhaltungsautoren, ist aber kein nützlicher Ansatz für tatsächliche Politik. Ein bloßer Blick auf die Eintrittswahrscheinlichkeiten (wie beispielsweise konventionelle Kriege für obsolet erklären und nur auf Kleinkriege schauen) macht ebensowenig Sinn.

Wir müssen den mühseligen Weg gehen und der Realität ins Gesicht schauen, statt sie gewaltig zu vereinfachen. Es ist sehr wichtig, dass wir vernünftige Abwägungen tätigen und nicht auf gewaltige Übertreibungen herein fallen.

Nuklearer Krieg im großen Maßstab:
Sehr, sehr geringe Wahrscheinlichkeit, Gewichtung fast auf Niveau des Endes der Zivilisation.

Nuklearer Krieg im kleinen Maßstab:
Sehr geringe Wahrscheinlichkeit, Gewichtung potentiell auf Weltkriegsniveau.

Konventioneller Krieg:
Geringe Wahrscheinlichkeit in den nächsten Jahren, Gewichtung zwischen Wirtschaftskrise und nationaler Katastrophe.

Grenzkonflikt:
Sehr geringe Wahrscheinlichkeit, niedrige Gewichtung für Deutschland (weil unsere Grenzen nicht umstritten sind oder wären). Eine Wirtschaftskrise könnte ausgelöst werden.

Kleinkrieg:
Praktisch unwichtig, weil ein weit entfernter Kleinkrieg unsere nationale Sicherheit nicht beeinträchtigen kann und ein Kleinkrieg daheim oder in einem Nachbarland für Deutschland nicht plausibel ist.

Ideologisch motivierter (terroristischer) Angriff organisierter Krimineller:
Kurzfristig geringe Wahrscheinlichkeit, mittelfristig mittlere Wahrscheinlichkeit. Die Gewichtung ist etwa auf Niveau eines großen Verkehrsunfalls.

Profitorientierter Angriff ausländischer organisierter Krimineller:
Alltäglich im kleinen Maßstab, mittlere Wahrscheinlichkeit im spektakulären Maßstab. Die Gewichtung ligt im gleichen Bereich wie die von inländischer organisierter Kriminalität. Eine Einstufung als sicherheitspolitisch relevantes Ereignis (durch die Gesellschaft) ist nicht zu erwarten.

Meine Schlußfolgerung ist, dass die Gefahren eines nuklearer Krieges im kleinen Maßstab und die eines konventionellen Krieges die größte Zuweisung von Ressourcen für Gegenmaßnahmen rechtfertigen.

Die eher kriminellen Aktivitäten können mit vielseitig verwendbaren Ressourcen gekontert werden, insbesondere mit der Polizei. Die Höhe der speziell zur Abwehr von Formen der organisierten Kriminalität rechtfertigbaren Ressourcen liegt höchstens im niedrigen zehnstelligen Bereich.


03: Die Zuweisung von Verantwortlichkeiten

Drei Ministerien sollten verantwortlich für die nationale Sicherheitspolitik eingebunden sein (zzgl das Bundeskanzleramt):

(a) Bundesministerium der Verteidigung (BMVg)

(b) Bundesministerium des Innern (BMI)

(c) Auswärtiges Amt (AA)

Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) sollte vorerst nciht relevant sein, weil seine Aktivitäten in geographisch zu weit entfernt sind, um relevant zu sein. Dies steht in offensichtlichem Widerspruch zum links-grünem Anspruch, Frieden durch Entwicklungspolitik zu fördern (man bedenke die Grundannahme!).

Verantwortlichkeiten der drei Ministerien:

(a) BMVg; dieses Ministerium sollte sich darauf konzentrieren, das Potential organisierter Gewalt (und ihrer Androhung im Rahmen von Abschreckung) für den Schutz der Nation gegen externe Aggression zu nutzen. Aus nationaler Ebene sollte nur tödliche Gewalt mit tödlicher Gewalt beantwortet werden.

(b) BMI; dieses Ministerium sollte alle Aggressionen unterhalb zur Schwelle zum Militärischen beantworten. Es würde sich weiter mit normaler Kriminalität beschäftigen, obwohl dies primär die Aufgabe der Bundesländer ist. Seine Mittel sind besser geeignet für Maßnahmen gegen Kriminelle im Ausland und organisierte Kriminalität als die Bundespolizeien.

Dies schließt Maßnahmen gegen lästige Terroristen und Gegenmaßnahmen zu Computerkriminalität ein.

(c) AA; dieses Ministerium handhabt die Außenpolitik und somit alle kooperativen und verhandlungsbezogenen Aspekte der nationalen Sicherheitspolitik. Seine allgemeine Sicherheitspolitik soll nicht durch die Erzeugung von Feindseligkeit die Wahrscheinlichkeit eine Krieges erhöhen. Die Sicherhietspolitik verdient eine hohe Priorität und muss auch dann verfolgt werden, wenn sie mit der aktuellen politischen Modeerscheinung inkompatibel ist.


04: Die Aufgabe der Regierung

Nun sollte die Aufgabe für die Regierung, definiert werden, durch deren Lösung die erwünschte nationale Sicherheit erreicht werden soll:

Das Ziel ist klar: Es soll der (erwartete) Nettoschaden minimiert werden, den das deutsche Volk durch Kriege und Kriegsgefahr nimmt. Wie sollte sie das tun?

Die Bundesregierung sollte für den Frieden arbeiten (besonders Frieden in Europa), aber die Nation sollte auch ihre Souveränität mit militärischer Macht absichern.

Dies wäre der "bewaffnet, aber nicht aggressiv" Ansatz, bei dem die eigene Sicherheit zuallererst durch die Senkung der Kriegswahrscheinlichkeit verfolgt wird (besonders auf dem eigenen Kontinent). Wir verfolgten diesen Ansatz bis in die 90er Jahre, als unter blauäugiger Vernachlässigung der Risiken von Auslandseinsätzen mit militärisch-politischen Abenteuern angefangen wurde.


05: Konsequente Sicherheitspolitik braucht einen nationalen Konsens

Sicherheitspolitik kann fast nur in einer Krise auch schnelle Erfolge erzielen. Vorbeugende Sicherheitspolitik muss langfristig durchgehalten werden, um langfristig Sicherheit zu erringen.

Eine langfristige Umsetzung erfordert, dass die Politik in groben Zügen einen Regierungswechsel überlebt. Selbstverständlich muss es im Rahmen einer Demokratie auch möglich sein, eine Politik zu ändern. Dennoch sollte eine sicherheitspolitische Strategie zu denjenigen Entscheidungen gehören, die langfristig Bestand haben, weil sich hinter ihr ein breiter und stabiler Konsens gebildet hat. Dieser Konsens kann entweder vor der Einführung oder nach der Einführung entstehen - in letzterem Fall wäre wohl der Erfolg der Vater der Popularität.

Der vorliegende Entwurf basiert so weitgehend auf in Deutschland etablierten Ansichten und Methoden, dass nur für wenige Punkte zusätzlich ein Konsens erreicht werden müsste. (Das ändert natürlich nichts daran, dass eine Umsetzung nicht im Mindesten zu erwarten ist.)


06: Die Rolle des Völkerrechts

Stärkung und Betonung des Völkerrechts ohne Heuchelei kann dessen Fähigkeit zur Konfliktprävention und -milderung stärken.

Die Mitgleidschaft in einem defensiven Bündnis (wir haben gleich zwei solche Mitgliedschaften, wobei allerdings einmal seit 1999 ein Fragezeichen hinter "defensiv" steht) ist nützlich. Sie kann sowohl Abschreckung als auch Stärke im Kriegsfall bieten ohne die Nation wirtschaftlich mit riesigen Militärausgaben auszubluten.

Abschreckung erfordert keine Doktrin der gegenseitigen Vernichtung im Kriegsfall, sondern sollte lediglich potentielle Aggressoren überzeugen, dass sich die Situation nicht durch Aggression verbessern lässt. Dies sollte sich auch auf kleine Konflikte erstrecken, bei denen man nicht glaubwürdig durch Drohen mit einer Maximalkeule abschrecken kann.


07: Eigene Verantwortung

"Für den Frieden arbeiten" erfordert insbesondere die Wachsamkeit bezüglich der Möglichkeit, dass man selbst zum Problem beiträgt. Deutschland hat deswegen bereits Sicherungen entwickelt. So ist zum Beispiel Kriegshetze anders als in vielen anderen Lädern in Deutschland illegal. Dies gilt zumindest, wenn nicht für einen Krieg ohne die Beteiligung deutschen Militärs gehetzt wird. Zudem ist Kriegshetze und Vorbereitung eines Angriffskrieges illegal, doch es existieren keine zufriedenstellenden Vorbereitungen für den Fall der tatsächlichen Führung eines Angriffskrieges (über Art. 20 GG Abatz 4 hinaus). Wir sollten diese beiden Lücken schließen. Zudem sollte die Strafandrohung für Kriegshetze erhöht werden, ein Minimum von drei Monaten Haft erscheint mir zu wenig angesichts der verheerenden Schäden, die Krieg an Menschen und Vermögen anrichtet.

Wir sollten auch aus der Kette von Ereignissen lernen, die zum Angriffskrieg gegen den Irak im Jahre 2003 geführt haben. Niemals wieder darf der deutsche Staat - einschließlich seiner Geheimdienstmitarbeiter - die Wahrscheinlichkeit eines Angriffskrieges irgendwo auf der Welt erhöhen. Geheimdienstmitarbeiter sollten nie Informationen weitergeben, die einen Angriffskrieg motivieren oder zu seiner versuchten Rechtfertigung herangezogen werden könnten.


08: Verhalten gegenüber Aggressoren

"Für den Frieden arbeiten" erfordert auch eine entschlossene Haltung gegen (potentielle) Aggressoren - ohne Scheinheiligkeit! Dies bedeutet, dass auch aggressive Verbündete mit Sanktionen konfrontiert werden sollten. Dies kann bis hin zum Verlassen der Allianz reichen, um nicht mehr mit Ihnen assoziiert zu sein. Dies sollte als Lehre aus dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs für die deutsche Sicherheitspolitik eine Selbstverständlichkeit sein.

Trotzdem wird dieser Teil vermutlich den meisten Widerspruch wecken, denn er legt einen Austritt aus der NATO und selbst aus der EU nahe in dem Fall, das sich ein Verbündeter für einen Angriffskrieg entscheidet. Andererseits mag solch eine entschlossene Haltung einen möglichen Aggressor von seinem illegalen Abenteuer abbringen, falls sie schon im Voraus bekannt ist.

Die NATO ist für Deutschlands nationale Sicherheit nicht unverzichtbar. Tatsächlich könnten wir ebenso wie die Schweiz auch ohne jedes Bündnis auskommen und neutral werden. Die NATO bietet uns jedoch zur Zeit mehr Nutzen als Kosten.


09: Multilaterale Rüstungsbeschränkungsabkommen

Multilaterale Rüstungskontrollabkommen machen meistens Sinn und können genutzt werden, um die Ressourcenverschwendung auf nutzlose Rüstungswettläufe zu vermindern. Sie können auch Grenzen militärischer Macht definieren, deren Überschreitung als Vorbereitung eines Angriffskrieges interpretiert würde und somit zum Startsignal für Gegenrüstung würde.

Solche multilateralen Rüstungskontrollabkommen sollten wenn möglich defensive Fähigkeiten über offensive Fähigkeiten bevorzugen.Dies könnte helfen, potentielle Aggressoren zu entmutigen, indem der Unterschied zwischen nromaler Friedensstärke und notwendiger militärischer Stärke für eine Aggression vergrößert würde.

Deutschland hat sich im Atomwaffensperrvertrag dazu verpflichtet, keine Atommacht zu werden. Wir bekommen das Beste beider Welten auf diese Art: Einerseits brauchen wir keine Ressorucen auf eigene Nuklearwaffen verwenden, da einige Verbündete diese betreiben wollen und für das gesamte Bündnis den Versuch nuklearer Abschreckung aufrecht erhalten. Andererseits befördert der Vertrag ein politisches Klima, in dem nur wenige Nicht-Atommächte versuchen, Atommächte zu werden.

Die Entscheidung zugunsten des Beitritts zum Atomwaffensperrvertrag fiel insbesondere wegen dieser Erwägungen (vor allem der Letzteren), und der damalige Entschluss macht weiterhin Sinn. Kein Abkommen ist perfekt, aber dieses macht Sinn.

Der Atomwaffensperrvertrag begründet zudem einen Anspruch gegenüber den Atommächten: Den Anspruch, dass diese vertraglich verpflichtet sind, nuklear abzurüsten. Je nach Einschätzung, ob dies der Sicherheit Deutschlands dient oder nicht, kann die Bundesregierung darum derart gestärkt auf nukleare Abrüstung drängen.

Schließlich hat Deutschland ohnehin die industriellen Fähigkeiten und Rohmaterialien, um binnen etwa zweier Jahre doch noch eine Atommacht zu werden. Deutschland behält so - auf wirtschaftlichem Wege - seine Fähigkeit, den Atomwaffensperrvertrag zu verlassen und eine eigene nukleare Abschreckung aufzubauen, falls dies doch noch jemals sinnvoll erscheinen sollte.


10: Die Bedeutung von UNO, OSZE und EU

Vereinte Nationen
Die Vereinten Nationen sind ein Inbegriff des Völkerrechts und ihr Bann gegen Angriffskriege ist für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland von großem Nutzen. Grobe Verstöße gegen die Prinzipien der VN gehen primär von Großmächten aus, was teilweise auch an deren Vetorechten im UN-Sicherheitsrat liegt. Man kann letztlich nicht von den VN erwarten, dass diese die Großmächte zu friedlichem und respektvollem Verhalten zwingt. Auch ist nicht mit wachsendem Respekt der Großmächte gegenüber den VN oder wachsender Vertragstreue bezüglich der (auch von den Großmächten unterschriebenen und ratifizierten) Friedfertigkeit gebietenden Charta der VN zu erwarten. Es bedarf also in der Welt weiterhin entsprechender Gegenmacht in Form von regionalen Bündnissen oder in Form anderer Großmächte, um gegenüber aggressiven Varianten von Großmachtspolitik Abschreckung zu bieten.

Für vieles Andere sind die VN jedoch eine beispiellos wirksame Übereinkunft, ein contrat social zwischen den Staaten der Welt, der vermutlich schon dutzende Kriege verhindert hat.

OSZE
The OSZE ist für die Sicherheitspolitik nur ein kleines Mittel zum Zweck. Sie ist vielleicht noch am relevantesten im Einsatz von Beobachtern, die Wahlen und Konflikte beobachten, berichten und in Maßen auch beurteilen. Als Vereinte Nationen-Unterorganisation ist die Arbeit der OSZE mehr auf innere Angelegenheiten der Staaten gerichtet als die der VN-Dachorganisation, doch eine große Effektivität ist weder zu bescheinigen noch zu erwarten. Die Möglichkeiten Deutschlands zur Beeinflussung der OSZE sind gering, sodass auch keine wesentlichen positiven Änderungen zu erwarten sind.

EU
Die Europäische Union ist seit dem Lissabonner Vertrag auch ein Verteidigungsbündnis, und das mit weitaus kräftigeren Formulierungen als die NATO. Sicherheitspolitisch ist die EU daher ein Substitut zur NATO, das in seinem Nutzen vor allem dadurch geschmälert wird, dass kaum jemand diese Bündnisfunktion kennt. Allein Tinte auf Papier ist jedoch erst einmal wenig wert; es ist daher im deutschen Interesse, die Wahrnehmung der EU als Verteidigungsbündnis zu steigern. Bei gutem Erfolg dieser Bemühungen könnte die EU zu einer hervorragenden Alternative zur NATO werden.

Außenpolitisch ist die EU weiterhin kaum effektiv, und es sind Zweifel angebracht, ob die Regierungen der EU überhaupt ein Interesse an einer Änderung dieses Umstandes haben. Eine gemeinsame Außenpolitik erfordert eine derartige Übereinstimmung zwischen den europäischen Regierungen, dass der Pfad dorthin vermutlich ein Langer wird. Eine gemeinsame europäische Außenpolitik ist ohnehin nur bedingt relevant für die nationale Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland. Dennoch mag eine vielversprechende Strategie - die Angleichung der außenpolitischen Wahrnehmung innerhalb der EU durch multinationale Nachrichtenquellen - die Mühe wert sein.


11: Externe Einflußnahme auf die EU

Deutschland hat sich zugunsten der Vorteile europäischer Kooperation darauf eingelassen, dass viele politische Entscheidungen gemeinsam getroffen werden und EU-Richtlinien dann mit nationalen Gesetzen umgesetzt werden müssen. Zudem erfordern viele Beschlüsse auf europäischer Ebene eine Einigung.

Das Funktionieren dieser politischen Entscheidungsfindung auf europäischer Ebene steht vor vielen Herausforderungen. Gegen eine besondere Herausforderung sollte daher abgeschirmt werden: Der illegitimen Einflußnahme durch nicht-EU Staaten auf EU-Entscheidungen. Wir haben bis auf Weiteres einen Teil der Wahrnehmung unserer Souveränität an die EU ausgeliehen. Damit haben wir nur denjenigen Ländern, die dies ebenfalls taten, ein Mitspracherecht für unsere inneren Angelegenheiten eingeräumt. Wenn nun Länder, die nicht diesen Preis gezahlt haben, auf ungebührliche Weise Einfluss nehmen, so ist dies letztlich ein Angriff auf unsere Souveränität. Dies gilt auch für die Einflußnahme von nichtstaatlichen Akteuren, wie zum Beispiel Wirtschaftsverbänden und Großunternehmen.

Es muss einer solchen ungebührlichen politischen Einflussnahme entschieden mit friedlichen Mitteln entgegengetreten werden. Externe Kräfte dürfen in der EU keinen bestimmenden Einfluss auf Regierungen nehmen, solange diese wiederum über EU-Räte Einfluss auf die deutsche Gesetzgebung nehmen können.


12: Ausländisches Militär in Deutschland

Ausländisches Militär sollte nicht regulär in Deutschland stationiert sein, und dasselbe gilt für ausländische Geheimdienstmitarbeiter, Es ist gut, Austauschprogramme für Offiziere zu betreiben. Es ist gut, zeitlich beschränkt experimentelle binationale Einheiten oder Verbände zu haben. Kurze multinationale Übungen sind auch gut. Ausnahmen im kleinen Maßstab wie zum Beispiel für AWACS Personal sollten auch gewährt bleiben.
Es besteht allerdings kein Bedarf für die Überbleibsel der Besatzungsarmeen.


13: Intervention ohne Bündnispflicht

Es gibt auch die Frage eines möglichen Einsatzes der Bundeswehr zur Verteidigung eines nicht offiziell verbündeten Staates. Hierbei ist grundsätzlich zu fragen, inwiefern dies der Sicherheit Deutschlands dient. Die Intervention würde für sich genommen bereits extreme Risiken für Staatsbürger in Uniform beinhalten und auch fiskalisch belasten. Hierfür muss ein entsprechender Gegenwert erwartet werden oder eine ethische Notwendigkeit bestehen.

Angesichts der Größe der aktuellen Bündnisse Deutschlands ist nicht damit zu rechnen, dass ein Aggressor einen Staat nach dem Anderen überwältigt und von daher eine gemeinsame, möglichst frühe Verteidigung Sinn macht. Ein Wiederholen einer Aggressionskette wie 1938-1939 bis zu einer Aggression gegen Deutschland selbst ist nicht zu erwarten. Sogar der Aufbau eines zentral geführten Paktes wie dem Warschauer Pakt ist angesichts der geopolitischen Situation um Europa herum nicht zu erwarte

Hinzu kommt, dass ohne Bündnis keine Bündnisverpflichtung besteht - die möglicherweise zu verteidigende Macht hätte uns gegenüber keine Sicherheitsgarantien abgegeben und somit keinen Anspruch auf Erwiderung. Insofern ist auch indirekt im Falle eines Konfliktes zwischen nicht-verbündeten Staaten kaum ein Interesse Deutschlands zugunsten einer deutschen militärischen Intervention anzunehmen.

Ein Spezialproblem bildet jedoch ein Genozid. Grundsätzlich muss der Vorwurf eines Genozids bzw. einer von Massenmorden begleiteten ethnischen Säuberung gründlich und von neutraler Seite her belegt werden. Die Ereignisse des Jahres 1999 ("Hufeisenplan") sollten uns hierbei als Mahnung dienen.

Ein bewiesener Genozid stellt einen Ausnahmefall dar. Hierbei besteht ein indirektes Interesse Deutschlands am raschen Abbruch des Genozids und an der Strafverfolgung - und zwar insbesondere dann, wenn die Verbrechen im abendländischen Kulturkreis verübt werden.

Wir dürften mit Hinblick auf die langfristige Sicherheit unserer Nation einen Genozid nicht tolerieren; ein derartiges Verbrechen muss inakzeptabel gehalten und die Wahrscheinlichkeit von Scheitern und Bestrafung nahe 100% gehoben werden. Auf diese Art sollte das Problem langfristig unterdrückt werden. Hierzu gehört auch, dass die Ablehnung derartiger Verbrechen in allen wesentlichen Kulturkreisen etabliert werden bzw. sein sollte.

Eine militärische Intervention zwecks Abbruch eines Genozids ist daher vertretbar und in manchen Fällen ratsam. Das Verbrechen muss jedoch zweifelsfrei nachgewiesen werden. Einzelne Zeugenaussagen sowie Luftbildaufnahmen würden wegen iher Fälschbarkeit bzw. wegen der Möglichkeit der Fehlinterpretation nicht ausreichen.


14: Geographische Blickrichtung der Bundeswehr

Die zwei relevanten Gebiete für die Bündnisverteidigung (sowohl EU nach Lissaboner Vertrag als auch NATO) sind die Südflanke der europäischen NATO (Mittelmeerraum) und die Ostgrenze der europäischen NATO (Osteuropa). Mexiko als weiteres Land hinter der NATO-Grenze bietet kein Potential für einen Bündnisfall. Die vom Lissabonner Vertrag abgedeckten Überseegebiete von EU-Mitgliedern bieten auch kein ernstzunehmendes Szenario für einen Bündnisfall.

Einen Spezialfall bieten die Grenzen des NATO-Mitglieds Türkei. Diese Grenzen liegen allerdings in einem derart schwierigen Terrain und die Türken haben eine solche Anzahl an Truppen, dass ein Bündnisfall wohl vorrangig Aufgaben für die Luftwaffe schaffen würde. Diese Aufgabenerfüllung bräuchte jedoch keine besonderen Vorbereitungen, zumal genug türkischsprachige Soldaten als Verbindungsleute verfügbar sein dürften.

Das Heer ist primär für den heimischen und osteuropäischen Schauplatz auszurichten, da es in einem mediterranen Bündnisfalles mangels dortiger Landbrücken kaum einen Bedarf für deutsche Bodentruppen geben würde.

Die Luftwaffe sollte sich sowohl für eine maritim dominierte Kriegführung im Mittelmeerraum als auch für eine eher kontinentale Kriegführung in Osteuropa vorbereiten.Besonders für Ersteres könnte auch eine Reform der Marineflieger sinnvoll sein.

Die Deutsche Marine sollte sich sowohl auf die sehr speziellen Verhältnisse der Ostsee als auch auf die ebenso speziellen Verhältnisse des Mittelmeeres einzustellen. Zudem sind Übungen im und Anpassung an das winterliche Nordmeer als Unterstützung für Norwegen sinnvoll.

Für die Ostsee hat die Marine zusammen mit der dänischen Marine eine besondere Kompetenz und kann daher zusammen bzw. abwechselnd mit der dänischen Marine die operative und doktrinäre Führung beanspruchen. Im Mittelmeer hingegen stände ihr eine eher ergänzende Rolle.

Die Logistik der Bundeswehr muss deutsche Streitkräfte an allen europäischen Bündnisgrenzen unterstützen können. Dies braucht im vollen Umfang erst Tage nach einer Teilmobilmachung (Requrierung von zivilen Transportmitteln und Einberufung von Reservisten für deren Einsatz) möglich sein.


15: Fokus auf Aufwuchsfähigkeit

Die kurzfristigen (sechs Monate bis zwei Jahre) Gefahren sind klein und vollkommen händelbar alleine schon zusammen mit den verbündeten Militärs aus Europa. Dies bedeutet, dass die Bundeswehr sich nicht so sehr für die Kriegführung als für eine schnelle (unter zwei Jahre) Expansion auf kriegsbereite Stärke bereit sein muss. Solch ein Ansatz würde auf zwei Arten helfen:

(1) Der Fokus würde weg von der aktiven Stärke hin zu wirklich relevanten Stärke wandern; der Stärke im Kriegsfall. Bürokratie und Lobbyisten tendieren dazu, die im Frieden aktive Truppe überzugewichten im Vergleich zur relevanteren Stärke im Mobilmachungsfall (trotz aller Lippenbekenntnisse zur "Aufwuchsfähigkeit").

(2) Der Ansatz würde den besten Gegenwert für das Budget bieten. Reservetruppen sind viel budgeteffizienter als aktive Truppen.

Die Gewichtung zwischen aktiver Truppe und Reserve ist dennoch eine sehr schwierige und komplexe Aufgabe, die vermutlich auch nicht in einem Schritt dauerhaft gelöst werden kann.

Zudem ist es richtig, die Wehrpflicht ausgesetzt, jedoch weiterhin in der Verfassung verankert, zu haben.


16: Schutz des Seehandels

Ein besonderer Fall für die Sicherheitspolitik ist der Schutz des Seehandels. Deutschland hatte einige öffentliche Diskussionen um die Wortwahl bei Interviews hoher Amtsinhaber in denen anscheinend gefordert wurde, dass die Bundeswehr auch für ökonomische Interessen kämpfen solle. Die Opposition dazu ist vertändlich vor dem Hintergrund von "Blut für Öl" Szenarien, wie sie in den letzten Jahrzehnten vom Ausland realisiert wurden.

Die Verteidigung von deutschen Schiffen in internationalen Gewässern ist eine angemessene Aufgabe für die deutschen Seestreitkräfte. Diese Aufgabe erfordert keine Beschaffung spezieller Schiffe, weil die Bedrohung (Piraten) von so geringer Qualität ist, das sogar Hilfskriegsschiffe mit etwas Improvisation den Anforderungen gerecht werden könnten.

Die Verteidigung von deutschen Schiffen (deutsche Flagge!!!) und deutschen Bürgern (deutscher Pass!!!) auf hoher See ist selbstverständlich eine angemessener Auftrag, allerdings kein Großer. Die Weltmeere sind zu groß für einen umfassenden Schutz und auch für Schutz gilt das Prinzip der Verhältnismäßigkeit des Aufwandes.

Der Schutz von Schiffen ohne deutsche Flagge und ohne deutsche Bürger an Bord kann ein angenehmer Nebeneffekt einer zufälligen Präsenz deutscher Kriegsschiffe sein. Der Schutz von Schiffen deutscher Reedereien unter ausländischer Flagge und mit ausländischer Crew sollte jedoch keine Aufgabe der Bundeswehr sein. Die Reedereien können ihre Schiffe hier registrieren, die deutsche Flagge hissen und so in den Genuss des Schutzes durch die deutschen Seestreitkräfte kommen. Anderenfalls können sie sich an die Marinen von Antigua oder der Bahamas oder vielleicht der Philippinen wenden.

Wir brauchen keine Begründung mit ökonomischen Interessen, um wirklich "deutsche" Schiffahrt zu schützen. Dabei geht es einfach um nationale Verteidigung, obwohl weder unsere Souveränität noch unser Territorium bedroht wären. Zur Wiederholung:

Nationale Sicherheitspolitik soll Politik für den nationalen Selbstschutz sein, keine Interessenpolitik.

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Die Links zu älteren Blogtexten zeigen, dass dieser Entwurf sehr konsistent mit meinen anderen, spezielleren Texten zu politischen und militärischen Themen ist.

Er starrt meiner Meinung nach nicht auf gerade modische sicherheitspolitische Themen und bauscht auch nicht weitgehend eingebildete Bedrohungen aus. Statt dessen ist er über die Bewältigung des Problems einer möglichen fremden Aggression gegen unser Land.

Dabei habe ich historische Erfahrungen berücksichtigt (und zwar mehr als nur zwölf Jahre unserer eigenen Geschichte, wie es die meisten "lasst uns aus der Geschichte lernen" Redner tun), um eine Wiederholung alter Fehler zu vermeiden.


Wir sollten Krieg wenn möglichst schlicht vermeiden, dabei aber unsere Souveränität behaupten.


Sven Ortmann

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